Neuseeland per Fahrrad

Reiseberichte und Fotos zu einer fast 5000 Kilometer langen Fahrradtour durch Neuseeland. Dazu Tipps, Infos und vielleicht ein bisschen Inspiration zur Reiseplanung für künftige Neuseelandradler.

vom Taumarunui bis nach Whakapapa Village

Weiß Gott, wir haben versucht, diesen Ort zu verlassen. Aber was das Bermudadreieck für Skipper, ist Taumarunui für Radler. Ab und zu sieht man welche hinein fahren - aber niemals wieder heraus. Dabei hatten wir nur zwei Nächte bleiben wollen. Ein bisschen einkaufen, Wäsche waschen, vielleicht ein Bad im Fluss nehmen. Doch wir erlagen den Annehmlichkeiten ganz wie dereinst Asterix den Priesterinnen auf der Insel der Freuden. Und uns hat kein wildschweinhungriger Obelix retten können.

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Dabei war unsere Route fest geplant: Nach kurzer (!) Pause in Taumarunui sollte es auf dem Forgotten World Highway nach Stratford und dann New Plymouth gehen. Ein letztes Abenteuer vor der Rückkehr nach Auckland. Aber wir hatten die Rechnung ohne Helene und Phil gemacht, die einen wirklich tollen Campingplatz direkt am Wanganui River führen, von dem wir uns einfach nicht mehr wegbewegen wollten. Fast eine Woche lang haben wir uns es richtig gutgehen lassen: sonnen, baden, das Gemüse- und Kräutergärtchen plündern, am Lagerfeuer sitzen - und einfach mal kein Fahrrad fahren. Es war herrlich! Und ganz wie Bermuda oder die Freudeninsel, konnten auch wir diesem Paradies nicht ohne weiteres entfliehen. Als wir uns nämlich am vierten Morgen endlich auf den Weg machen wollten, fing es aus - ja! - heiterem Himmel an zu regnen. Seit Kaikoura hatten wir keinen Regen mehr gesehen und natürlich hatten wir wenig Lust ein nasses Zelt einzupacken. Zumal die bevorstehende Strecke von bergigen 80 Kilometern teils über Schotter führte. Wir blieben also einen weiteren Tag. Am fünften Morgen schafften wir es zumindest, alles einzupacken und die ersten 12 Kilometer auf dem Highway durch die "vergessene Welt" zu radeln, als es plötzlich einen lauten Schlag gab und eine Speiche an meinem Hinterrad brach. Genau dort, wo man die Kassette abbauen muss, um ranzukommen. Unmöglich das an Ort und Stelle zu erledigen, dafür sind unsere Mechanikerkenntnisse zu beschränkt. Also zurück zur Stadt und zwei weitere Nächte auf dem Campingplatz buchen! Letzten Endes haben wir den Bus nach Hamilton nehmen müssen - erst dieser feste Abfahrtstermin und die Ausgabe von 58 Dollar konnte uns aus Taumaranui wegbringen. (Ich bin nicht sicher, ob das im Falle eines Verlustiggehens in Bermuda auch Abhilfe schafft...). Irgendwann ist die Radfahrlust eben einfach nicht mehr groß genug, eine ernsthafte "Stör-mich-nicht-ich-mach-grad-nix"-Phase zu durchbrechen.

Die Wochen nach unserem Aufbruch aus Kaikoura waren aber auch sehr erlebnisreich. Mit dem Coastal Pacific Zug fuhren wir nach Picton, entlang wilder Küste mit dutzenden Seehundkolonien durch altes Maori-Siedlungsgebiet.

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Am Zielbahnhof wurden wir schon von Mark erwartet, der nach unserem Abschied in Greymouth die Westküste weiter hinauf gefahren war. Gemeinsam buchten wir für den nächsten Tag zwei Seekajaks, um die Malborough Sounds noch mal genauer zu erkunden. Es wurde ein aufgregender Tag! Im Hafen hatten sich Millionen kleiner, roter Krebse gesammelt, sehr ungwöhnlich - irgendwas "Großes" musste sie dorthin getrieben haben. Das jedenfalls erklärte uns die Frau in der Verleihstation. Dort wurde außerdem jeder Kajakleiher vor einen Lehrfilm gesetzt, der unter anderem zeigte, wie ein Paddler auf See ganz überraschend unter einem sprunghaften Orca begraben wurde. Ganz toller Film, wenn verängstigtes Walfutter um einen herumzappelt während man selbst in so eine gelbe Nussschale steigt. Ich versuchte nicht weiter darüber nachzudenken, wie groß dieses Wesen da draußen genau sein musste, sondern paddelte tapfer mit Isel als Steuerfrau und mit Mark im Beiboot in die verschlungenen Arme des Sundes. Das Wetter war herrlich, kein Wind kräuselte das Meer. Neben uns spielte ein Seehund im Wasser. Wie im Werbefilm (bzw. Verleihstation-Lehrfilm. Bis der Orca kommt...).
Mittags steuerten wir eine idyllische Bucht an, aßen kalte Hackklöpschen und sprangen in die Fluten. Gegen Nachmittag frischte der Wind jedoch auf und der Wellengang wurde merklich höher. An der Stelle, an der man wieder in den Picton Harbour einbiegt, wurde es ziemlich ungemütlich. Es treffen dort mehrere Strömungen aufeinander und man muss zudem die Fahrrinne der Fähren und Frachter kreuzen. Isel hat mich noch nie so schnell paddeln sehen. Wale waren längst vergessen, nun ging es eher darum, nicht an Felsen oder Fähre zu zerschellen oder eine Eskimorolle in Echtzeit zu üben. Nach einer guten dreiviertel Stunde knallharten Arbeitens hatten wir unser kleines Boot jedoch sicher in den Hafen navigiert. Die Krebschen waren immer noch da (ungefährt eine Tonne davon rottete bereits am Strand in der Sonne vor sich rum - die Möwen hatten lieber die Eiswaffeln der Touris aufgemampft).
Am nächsten Tag hieß es endgültig Lebewohl Südinsel. Mit der Fähre ging es über die unruhige Cook Strait zurück nach Wellington. Walsichtungen gab es keine, aber ein paar Delfine sprangen munter rund um das Bluebridgeboot.

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Nachdem wir in Wellington bereits im November einige Tage verbracht hatten, blieben wir diesmal nur zwei Nächte und fuhren dann mit dem Vorstadtzug nach Waikanae. Von dort ging es durch wenig spektakuläre Landschaft bis nach Wanganui. Eine hübsche Stadt an der Mündung des gleichnamigen Flusses. Wir entschieden uns, nicht den Highway 4 in den Tongariro Nationalpark zu fahren, sondern die idyllische, teils schottrige Wanganui River Road zu nehmen. Nach den langen, aber weniger steilen Bergen der Südinsel war die River Road eine ganz schöne Herausforderung. Für die letzte Etappe von nur knapp 45 Kilometern brauchten wir einen ganzen Tag. Doch wir wurden belohnt, konnten wir doch am späten Nachmittag kurz vor Raetihi einen ersten Blick auf die Vulkankrater des Tongariro Nationalparks werfen. Dorthin führte uns am nächsten Tag unser Weg, genauer ins winzige Whakapapa Village. Wir wollten eigentlich nur für zwei kleine Tageswanderungen bleiben. Aber als wir ankamen, trafen wir gleich auf Thomas und Mechthild, zwei Leipziger, denen wir schon in Invercargill begegnet waren. Sie hatten vor, den derzeit begehbaren Teil des berühmten Tongariro Alpine Crossing zu machen - eine Tageswanderung mitten durch aktives vulkanisches Gebiet zwischen Mt Tongariro und Mt Ngauruhoe (ja, das ist der Schicksalsberg aus Herr der Ringe). Wir hatten darüber nachgedacht, aber gehört, dass die ganze Strecke wegen des Vulkanausbruchs im November (siehe Reisebericht - Teil 7) gesperrt sei. Aber Thomas klärte uns auf - bis zum 1880 Meter hohen Red Crater mit Blick auf die grünen Emerald Lakes und den Blue Lake konnte man gefahrlos wandern. Und so buchten auch wir einen Platz im Shuttlebus und nahmen die knapp 17 Kilometer in Angriff. Sehr tolle Strecke, aber mit unseren Radturnschuhen auch teilweise ganz schön rutschig. Auf dem exponierten Red Crater, mit steilen Geröllhängen rundherum, war es mir auch durchaus ein bisschen mulmig zumute (meine Höhenangst geht auf ein traumatisches Erlebnis in den Pyrenäen zurück...). Aber es hat sich gelohnt, die Landschaft ist wunderschön und mit wenig zu vergleichen. Zerklüftet und karg, dennoch farbenreich und unendlich weit.

Von Whakapapa Village, das auf etwa 1200 Metern liegt, ging es am nächsten Tag den ganzen Weg bergab nach Taumarunui. Und dort sind wir also kleben geblieben, bis uns der Bus nach Hamilton brachte. Hier sitzen wir gerade in der Bibliothek und bringen Blog und Reisetagebücher auf den neuesten Stand. Am Montag werden wir uns wohl wieder in die Sättel schwingen und ostwärts Richtung Firth of Thames fahren, ehe es zurück nach Auckland geht. Weniger als zwei Wochen, dann sind wir in Deutschland! Wenn wir nicht wieder irgendwo verschwinden...