Neuseeland per Fahrrad

Reiseberichte und Fotos zu einer fast 5000 Kilometer langen Fahrradtour durch Neuseeland. Dazu Tipps, Infos und vielleicht ein bisschen Inspiration zur Reiseplanung für künftige Neuseelandradler.

In Neuseeland vom Pelorus River nach Dunedin

Der Regen will nicht aufhören. Wir sitzen noch immer beim Frühstück, ich koche zum zweiten Mal einen großen Topf Pfefferminztee. Die Fensterscheiben der Küche auf dem DOC-Campingplatz sind beschlagen; ab und zu huscht draußen ein durchnässter Camper vorbei. Aber langsam leert sich der Platz. Eigentlich wollten wir auch bloß eine Nacht an der Pelorus Bridge bleiben, aber im Dauerregen bleibt uns nichts anderes übrig als zu warten.

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Ich werfe einen Blick auf den Pelorus River, der nahe des Küchengebäudes vorbei fließt. Gestern noch schlängelte er sich lieblich blau schimmernd um die trockenen Kieselsteinbänke im Flussbett. Jetzt hat er eine matschig braune Farbe angenommen; von trockenen Stellen ist im Flusstal nichts mehr zu sehen. Fast minütlich steigt der Wasserpegel in die Höhe.
Ich vertrete mir ein bisschen die Beine und schlendere zur Kiste mit den Büchern und Magazinen ("Mein Weg zu Jesus" - "Sturm der Leidenschaften" - "Fledermaus-Fallen und ihre Anwendung"). Ich entdecke ein kommentiertes Fotoalbum vom Bau des neuen Sanitärblocks und blättere interessiert darin herum.
Und dann wird mir plötzlich sehr unbehaglich zumute.

(Aus dem Inhalt)
Es war einmal ein schöner Sommertag in den Weihnachtsferien 2011/2012.
(Bilder von zahlreich zeltenden Kiwis, dampfende Barbecues im Hintergrund.)

Wir hatten gerade den Rohbau fertiggestellt.
(Bilder der noch sehr betonlastigen Küche; Männer mit strammen Waden in kurzen Hosen stolz in die Kamera lächelnd.)

Doch der Ferienausflug wurde zum Albtraum, als der Fluss in der Nacht anschwoll.
(Bilder abgesoffener Zelte im Schlammwasser, umgedrehter Autos und aus brauner Pampe ragender Palmenbaumspitzen.)

Ich klappte das Fotoalbum zu und rekapitulierte unsere Situation. Es regnete seit 15 Stunden ohne Pause. Allein innerhalb der vergangenen 60 Minuten war der Flusspegel sicher um einen halben Meter angestiegen. Unser Zelt stand in einer leichten Senke, wenige Schritte hinter dem Hauptgebäude, das vor fast einem Jahr bis unter die Türklinken voll Wasser stand. Nun fiel mir auch das Warnschild vor den Toiletten wieder ein. ("Achtung, das hier ist ein ziemlich flutgefährdetes Gebiet. Könnte sein, dass wir bei Gelegenheit evakuieren.")

Nachdem auch Isel einen Blick auf die beunruhigende Bildergeschichte geworfen hatte, packten wir uns flugs in die Regensachen ein und eilten (bergauf!) durch den Regen zum nahegelegenen Café, dessen Besitzer den Zeltplatz verwaltet. Halb erwartete ich einen entsetzten Aufschrei zu hören, als wir die warme Gaststube betraten ("JOHN!? Da sind noch Leute am Fluss??! Da darf doch niemand mehr sein, um HIMMELS WILLEN!!").
Stattdessen saßen John und seine drei Kolleginnen fröhlich schwatzend am Frühstückstisch, warfen uns ein "How are ya? Ziemlich nass, was?" entgegen und machten insgesamt einen eher unaufgeregten Eindruck. Also doch keine Katastrophe im Anmarsch, gegen Nachmittag ließ der Regen nach und am nächsten Morgen hatte der Fluss sein altes Bett wiedergefunden.
Ich war trotzdem froh, dass wir nun auf dem Weg nach Nelson waren - der sonnigsten Stadt Neuseelands.

Die ersten Tage auf der Südinsel waren also insgesamt recht rau. Doch je näher wir dem Abel Tasman Nationalpark kamen, desto wärmer und trockener wurde das Wetter. In Motueka blieben wir drei Tage und ließen es uns gutgehen. Wir unternahmen einen Kajak-Wanderausflug in den Nationalpark (weißsandige Buchten, tropischblaues Meer, dickbäuchige Touristen), verbrachten Stunden in der örtlichen Bibliothek und füllten im großen Countdown-Supermarkt unsere Vorräte auf für die Tour an die Westküste.
Die Route von Motueka über Murchison und entlang des Buller River bis nach Westport ist wunderschön. Zwar war unser Radführer in diesem Gebiet nicht immer zuverlässig (die Neuseeländer sind einfach zu sprunghaft und verkaufen ständig ihre Motels, Backpackers und Cafés - und wir stehen dann dumm vor dem "Sorry, we're closed"-Schild), aber das Wetter war gut und wir hatten ausreichend Verpflegung dabei. Der letzte Tag ins kohledunstige Westport war allerdings ziemlich anstrengend, da meine Schaltung sich weigerte auf das kleinste Ritzel zu wechseln und beleidigt heraussprang, wenn ich es trotzdem versuchte. Der Fahrradmensch in Westport hat es aber wieder einigermaßen hinbekommen (beim zweiten Versuch aber erst - vorher ist beim Probetreten erst mal die Kette gerissen...). Jetzt halten wir immer brav penibel unseren Antrieb sauber, damit alles läuft wie - haha - geschmiert. Merke: Deutsches Kettenöl ist böse, Neuseeland-Kettenwachs ist "the lubricant of choice". Allrighty!

Am nächsten Tag ging es an der wilden Westküste entlang nach Punakaiki, ein kleiner Ort nahe den berühmten Pancake Rocks. Die Felsen an der Küste bestehen hier aus unterschiedlich widerstandsfähigen Sedimentschichten und durch die Abschleifarbeit der Gezeiten sehen sie aus wie Pfannkuchenstapel. Standesgemäß gab es zum Frühstück fluffige Pancakes mit Sirup.

Allmählich näherten sich die Dezembertage dem Weihnachtsfest und wir begannen ein bisschen herumzurechnen und zu planen, wo wir die Festtage verbringen könnten. Eigentlich hatten wir von Greymouth aus eine Bustour zu den Gletschern Franz Josef und Fox machen wollen, ehe es mit dem Tranzalpine durch den Arthur's Pass Nationalpark nach Christchurch gehen sollte. Da aber die Westküste so toll und wir uns mittlerweile auch eine mittelschwere Passüberquerung zutrauten, beschlossen wir, doch den Highway 6 über Haast bis Wanaka zu fahren. Um aber dem Weihnachtstrubel an der Westküste zu entgehen (die Kiwis gehen zu Weihnachten alle campen!), fahren wir die Strecke nun einfach andersherum. Das heißt: Mit dem Zug von Greymouth über die Alpen nach Christchurch (w-u-n-d-e-r-s-c-h-ö-n!), dann bis ganz nach Süden und anschließend an der Westküste wieder hoch bis Greymouth.

Wir wollten vor dem Fest vor allem aus Christchurch herausfahren, der Ruhetag dort war ziemlich deprimierend. Die Innenstadt wurde im Februar 2011 durch das zweite Canterbury-Erdbeben massiv zerstört, in der sogenannten Red Zone stehen nur noch Ruinen. Zwar sind die Aufräumarbeiten in vollem Gange und viele Menschen aus Christchurch sind froh über die Fortschritte - aber für den Außenstehenden sieht alles einfach nur kaputt und verlassen aus. Wir waren wirklich froh, als wir die Stadt in Richtung Lake Tekapo verlassen konnten.

Und so kam es, dass wir den Heiligabend im beschaulichen Geraldine im südlichen Canterbury verbrachten. Im gemütlichen alten Kino sahen wir uns den "Hobbit" an, gaben endlich ein Teil unseres "Essensgeldes" (Geschenk der Freunde aus Weimar) für Steak und allerlei andere Köstlichkeiten aus und nutzen das schnelle W-Lan, um die herrliche 90er-Jahre-Weihnachtskomödie "Single Bells" auf YouTube zu gucken. Den Kiwis ist der 24.12. ja ziemlich wurscht, hier geht erst am Christmas Day (25.12.) die Weihnachtspost ab. Und am Boxing Day (26.12.) tauschen dann alle ihre Weihnachtsgeschenke um oder lösen ihre Gutscheine ein - das ist der umsatzstärkste Tag im Jahr (daher vermutlich der Name, nicht?). Das wiederum war uns ziemlich wurscht, wir fuhren mit dem Rad über den Burkes Pass zum Lake Tekapo. Von dort ging es der Canal Road entlang bis zum Lake Pukaki, an dessen Ende Neuseelands höchster Berg, der Mt. Cook (3755 Meter) in den Himmel ragt. Die Seen sind hier im Mackenzie Country wirklich unbeschreiblich blau, was die Fotos wie Postkartenretuschen aussehen lässt. Lonely Planet klärte uns auf, dass das am "Gesteinsmehl" liegt, das entstand als die Gletscher vorwitzig ins Tal drangen und sich ihre steinbeladene Unterseite am Boden aufschrammelten. Heute brechen die übriggebliebenen Partikelchen im See das Sonnenlicht und lassen das Wasser türkisblau leuchten.

Am 30.12. kamen wir in Cromwell an, wo wir zufällig wieder auf Diemut und Michael trafen, die beiden Fernradler aus Bückeburg. Sie hatten die Westküste von Norden aus in Angriff genommen und überlegten nun, nach Queenstown weiterzufahren. Unser Weg führte uns jedoch erst mal wieder in Richtung Osten - zu Neuseelands erstem richtigen Radweg, den Otago Central Rail Trail. 150 Kilometer einer alten Bahnstrecke sind dafür umgebaut worden und die Kiwis machen wirklich ein ganz schönes Tamtam darum. Insgeheim hatte ich mir ja vorgestellt, wie wir profimäßig trainiert an den übergewichtigen Hobbyradlern vorbeizischen und den Trail in zwei lockeren Tagen absolvieren.
Das sollte aber ein bisschen anders kommen.
Der Radweg hat zwar keine starken Steigungen (sonst wäre der Zug immer zurückgerollt, was blöd für die an der Endhaltestelle gewesen wäre), aber das Wetter war dafür ziemlich verrückt. Es wehte ein extrem starker Wind und die meisten leichter beladenen Radler auf kurzen Etappen (Gepäck lässt man sich fahren) schoben sich mitleidig guckend und aufmunternd grüßend an uns vorbei. Silvester gingen wir völlig fertig gegen 21 Uhr ins Bett. Landschaftlich ist Otago allerdings wirklich reizvoll und der Trail führt mitten hindurch. Es ging durch Schluchten und Tunnel, über Brücken und Viadukte. In Pukerangi stiegen wir dann in die Museumsbahn "Taieri Gorge Railway" aus den 1920er Jahren und fuhren hinein nach Dunedin, die erste schottische Siedlung des Landes.

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Hier verbringen wir nun drei Ruhetage (heute ist allerdings schon der letzte), ehe es an der Küste des Catlin Nationalparks entlang nach Invercargill geht. Mal sehen, ob wir auf dem Weg ein paar Robben, Wale oder Delfine zu Gesicht bekommen.