Neuseeland per Fahrrad

Reiseberichte und Fotos zu einer fast 5000 Kilometer langen Fahrradtour durch Neuseeland. Dazu Tipps, Infos und vielleicht ein bisschen Inspiration zur Reiseplanung für künftige Neuseelandradler.

Radtour von Helensville bis Auckland

Etwa drei Wochen waren wir am nördlichen Nordinselzipfel unterwegs. Es waren anstrengende erste Tourtage. Neuseeland ist extrem hügelig, der Asphalt sehr rauh und unsere Waden bis dato noch recht untrainiert. Trotzdem war es bisher eine tolle Zeit.
Fünf Tage hatten wir in Auckland verbracht, dann ging es endlich richtig los. Mit dem Zug fuhren wir in Richtung Westen (Linksverkehr sieht auf dem Rad noch mal ganz anders aus - da haben wir uns den Stadtverkehr gern gespart). Den Hänger hatten wir voll Essen geladen, die Stimmung war gut - und dann begingen wir den ersten, fatalen Fehler. Wir wichen von der vorgeschlagenen Route unseres Radreiseführers von Nigel Rushton ab. Eine Nebenstraße schien uns kürzer und weniger befahren als der Highway. So wurden aus geplanten 25 Kilometern schnell über 40 mit unendlich vielen Hügeln. Seither lesen wir die Empfehlungen Nigels bezüglich Alternativrouten sehr viel sorgfältiger.

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Der folgende Tag sollte einer der anstrengendsten der Tour werden. Wir wollten von Helensville über Wellsford bis zu einem Zeltplatz kurz vor Brynderwyn fahren. Etwa 75 Kilometer lagen vor uns. Bereits nach 5 Kilometern im Kriechtempo wurde mir klar, dass wir das nicht schaffen würden. Die Straße wand sich durch die hügelige Landschaft, es stürmte und wir mussten die meisten Anstiege nach oben schieben. Es folgte die Zähneklappern verursachende Abfahrt - nur um dann wieder hochzuschieben. Irgendwann blickten wir nur noch sehnsuchtsvoll in jede Straßeneinbuchtung, ob sich vielleicht ein Zelt aufbauen ließe. Leider ist in Northland jeder Quadratzentimeter eingezäunt, da ist es mit Wildcampen nicht einfach. Gegen 17 Uhr kamen wir durch einen mittelgroßen Ort (alles über 3 Häuser wird in der Karte vollmundig als Ortschaft gekennzeichnet). Wir steuerten die öffentlichen Toiletten an (die gibt es überall!) und trafen dort auf einen einsamen Radfahrer, der an der Wand eines Bootshäuschens direkt neben dem WC lehnte. Ein paar Brocken deutschakzentigen Englischs auf beiden Seiten verriet uns schnell. Tobias kam aus Norddeutschland und wollte wie wir Neuseeland mit dem Rad erkunden. Allerdings trug er sämtliche Ausrüstung in einem riesigen Rucksack auf dem Rücken, ernährte sich nur von kalten Dosenbohnen, kalten Dosennudeln und Toastbrot mit Wurst. Dementsprechend viel Lust hatte er darauf, die Radreise nach der Rückkehr nach Auckland fortzusetzen. "Ich motte das Rad irgendwo ein und nehm den Bus!" waren seine Worte. Mal sehen, ob wir ihn irgendwo wiedersehen. Wir beschlossen jedenfalls alle am Bootshaus unser Lager für die Nacht aufzuschlagen. Gegen 18 Uhr jedoch kamen einige Jeeps auf den kleinen Parkplatz gefahren. Schnauzbärtige Kerle mit sonnengegerbten Gesichtern schwangen sich heraus, suchten sich einen Weg durch unsere Taschen und Räder, die wir vor dem Bootshaus verteilt hatten und versammelten sich zu Bier und Musik im Inneren des Hauses. Wir sahen uns sorgenvoll an, keinesfalls wollten wir vertrieben werden. Außerdem hattte ich ein Schild mit der Aufschrift "Hunter's Club" an der Einfahrt gelesen und fragte mich, ob nicht vielleicht gerade die Munition vorsortiert wurde ("Jack nimmt die dürre Blonde, Hamill den Kleinen und ich knöpf' mit die Brünette vor..."). Alle Sorgen war jedoch unbegründet. Mit Piepsstimmen baten wir um Erlaubnis auf der Wiese zelten zu dürfen und wurden prompt über kommendes Wetter, kommende Hügel und das beste und billigste Bier Neuseelands aufgeklärt. Erschöpft, aber froh fielen wir gegen 20 Uhr in die Schlafsäcke.

Am nächsten Tag folgten wir eine Weile dem Highway 1 (sollten Radfahrer wenn es irgend geht vermeiden - der Verkehr ist mörderisch und es gibt bergauf keinen Seitenstreifen). Wir hatten aus der Anstrengung des ersten Tages gelernt und nahmen uns von vornherein weniger Kilometer vor. Die Nacht verbrachten wir auf einer typischen Farm mit Kühen, Schafen und Alpacas. Dort trafen wir auf Ingrid, eine Deutsche, die seit 15 Jahren in Neuseeland lebt. Außerdem waren noch zwei Woofers auf der Farm, ein französisches Pärchen. Woofing, also Farmarbeit, ist bei ausländischen Work&Travellern sehr beliebt. Die beiden waren allerdings am Ende ihrer Reise, etwa eine Woche später sollte es zurück nach Frankreich gehen. In der Nacht allerdings wurden wir von einem Krankenwagen geweckt, der das Mädchen nach Whangarei ins Krankenhaus brachte. Am Morgen holte sie der Farmer wieder ab, sehr blass und angeschlagen. Sie hatte irgendein mysteriöses Magenproblem, so richtig konnten die Ärzte nichts finden. Wir stammelten ein paar mitfühlende Worte, schwangen uns dann aber nichtsdestotrotz auf die Räder und fuhren weiter gen Norden.

Aber das Krankenkarma hatte sich längst an uns geheftet. Vor allem an Isel. Sie bekam ziemliche Knieschmerzen und am Ruhetag in Matakohe brach auch noch eine Füllung aus dem Backenzahn. Sie hielt jedoch tapfer bis in die "Hauptstadt der Süßkartoffel" - Dargaville durch. Dort legten wir einen Ruhetag ein und ließen von einem sehr netten russischen Zahnarzt die Füllung ersetzen. Und so ging es weiter bis in den Waipoua Forest hinein.

Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen, aber vor der Besiedlung Neuseelands war der heute recht kahle Norden dicht mit Kauriwäldern bewachsen. Kauri ist eine Kiefernart, die mächtige Maße erreichen kann. Der größte noch lebende Kauri (Tane Mahuta - Gott des Waldes) hat einen Umfang von 13 Metern und ist 51 Meter hoch. Wir fuhren in zwei Etappen durch den Waipoua Forest, die Nacht verbrachten wir am dortigen Besucherzentrum. Ich drängte Isel noch zu einem einstündigen Marsch durch den dichten Wald zu einem Aussichtsturm. Der Weg war matschig und sehr beschwerlich (was Isel mit leichtem Nörgel strafte), aber es war herrlich, mal nicht im Sattel zu sitzen.

Allmählich rollte es sich besser und bald erreichten wir den wunderschönen Hokianga Harbour. Selbst auf dem Fahrrad war das ein echtes landschaftliches Kontrastprogramm. Eben noch fuhr man den schmalen Highway durch dunkle Wälder und wenige Stunden später eröffnete sich der Blick auf knallblaues Wasser, weiße Sanddünen und kleine Fischerdörfer. Wir verbrachten die Nacht in Opononi, einem beliebten Ferienort, der jedoch um diese Zeit noch recht verlassen war.

Zwei Tage später hatten wir endlich Ahipara erreicht - und damit den 90 Mile Beach (der eigentlich nur 56 Meilen lang ist). Wir gaben uns touristisch und buchten am Holiday Park eine Bustour nach Cape Reinga. Insgeheim ahnten wir das Schlimmste (Stichwort Heizdecken und Topfsets zwischen japanischen Reisehorden). Tatsächlich aber hatten wir einen tollen Tag mit einem großartigen Blick auf die zwei Ozeane, die sich dort am Nordzipfel treffen. Mit dem Fahrrad wäre es ein ganz schöner Ritt gewesen, wir waren froh über unseren gemütlichen Bus und die vielen Witze des Busfahrers ("...eigentlich gibt es zum Mittag immer Truthahnburger. Der war heute aus, da hab ich ein paar überfahrene Possums von der Straße gekratzt...").

Die folgenden Tage fuhren wir entlang der Ostküste, also auf der pazifischen Seite Neuseelands. Als wir jedoch die vielgepriesene Bay of Islands erreichten, wechselte das Wetter schlagartig. Unseren freien Tag in Russell, einst "Höllenschlund des Pazifik" genannt wegen all der lüsternen Seeleute - verbrachten wir im strömenden Regen. Hinter grauen Wolkenschleiern zeigte sich ab und zu ein schwarzer Brocken im Meer, den wir dann als eine der unzähligen Inseln identifizierten. Am nächsten Tag jedoch riss die Wolkendecke und wir hatten von der Strasse aus herrliche Ausblicke auf die wunderschöne Küstenlandschaft.

Nach anstrengenden zwei Tagen und einigen Kilometern auf dem halsbrecherischen Highway 1 erreichten wir Whangarei - und hatten damit das Ende unserer Tour durch Northland erreicht. Nach einem Ruhetag wollten wir mit dem Bus zurück nach Auckland fahren, um uns den gefährlichen Highwayabschnitt ab Whangarei (oder zeitraubende oder schon gefahrene Straßen) zu sparen.
In Whangarei genossen wir einen sonnigen, schönen Tag, buchten unsere Bustickets, spazierten auf dem Kauri-Baumwipfelpfad - und kauften spontan ein neues Zelt. Wir hatten die Tage zuvor das alte Zelt ständig an anderen Stellen flicken müssen, außerdem bog sich das Gestänge bei Wind bedenklich durch. Und als wir im Kathmandu, einer neuseeländischen Outdoorkette, das 40-Prozent-auf-alles-Schild sahen, zögerten wir nicht lange und schoben ein Bündel grüner Zwanziger über den Ladentisch. Das alte, treue, Zelt ließen wir am Campingplatz zurück, der freundliche Mitarbeiter wollte es einer Familie schenken, als Gartenspielzelt für die Kinder (wahrscheinlich schnarcht aber gerade eher ein Backpacker darin...).

Der folgende Morgen brachte noch mal einen kleinen Adrenalinstoß. Wir wussten nämlich nicht, ob die Räder wirklich in den Bus passen würden. Man kauft das Ticket, merkt an, dass man ein Rad dabei hat - bekommt aber keine Garantie, dass der Busfahrer es auch mitnimmt. Beim Einsteigen drückt man ihm je 10 Dollar in die Hand und hofft das Beste. Wir hatten Glück, die Räder samt Hänger und Gepäcktaschen durften mit nach Auckland fahren.
Und so standen wir am 7. November, kaum 4 Wochen unterwegs, wieder in der "Stadt der Segel". Am Pier wurden wir beim Mittag (Pie und Kaffee) von einem deutschen Mädel angesprochen. Sie sollte Besuch von ihrer Patin bekommen, die ebenfalls ein paar Monate mit dem Rad durch Neuseeland fahren wollte. Wir unterhielten uns lange und sie erwähnte, vielleicht später noch mal an unserer Unterkuft vorbeizuschauen (was wir nicht so richtig ernst nahmen).

Wir stiegen im Stadtteil Parnell in einem ziemlich heruntergekommenen Hostel ab. Die Rezeption war unbesetzt, unser ausnahmsweise vorbestelltes Zimmer lag aber offen. Wir räumten gerade ein, als der Besitzer eintraf. Er führte uns durch die muffigen Flure, zeigte uns, wo wir die Räder unterstellen und das nasse Zelt aufhängen konnten und entschwand gleich wieder - das allerdings im schwarzfunkelnden Lamborghini. Das Hostel kostete 56 Dollar im Doppelzimmer. Ich habe keine Ahnung, wie das zusammenpasst. Wir lugten jedenfalls erstmal in jede Ecke des Hostels, immer in der Erwartung auf einen gestriegelten Mafioso im Anzug zu treffen, der gerade aus einer geheimen Spielhölle in einem der Zimmer tritt. Aber nichts dergleichen geschah, außer ein paar verschreckten deutschen Backpackern war das Hostel wie verlassen. Es wäre ein trostloser Abend geworden, wäre nicht tatsächlich Nadine, das Mädchen vom Pier, vorbeigekommen, um uns ein selbstgebackenes, deutsches Brot zu schenken. Es war köstlich!!

Am nächsten Morgen flohen wir bereits vor dem Frühstück zum Fährhafen und schnappten das erste Boot nach Coromandel - der malerischen Halbinsel, die jährlich Heerscharen von Touris anzieht.
Und dort geht das Abenteuer weiter - aber jetzt muss ich erst mal die frische Wäsche ins Zelt sortieren, die Isel gerade gebracht hat. Das nächste Mal also!